Grenze – granica – кордон

Das Wort „Grenze“, „granica“, existierte anfangs in meinem kindlichen Bewusstsein nicht. Das erste, was ich kannte, war „zagranica“, das Jenseits der Grenze, das Ausland. Die Zeit, in der ich die Welt der abstrakten Begriffe erlernte, fiel auf das Ende der achtziger Jahre und Anfang der Neunziger. Vor dem großen Umbruch, der dann mit dem Fall der Kommunismus kam, habe ich sehr trüb noch die Welt vor Augen, wie ich sie als Kind wahrgenommen habe. Es war eine Welt der langen Warteschlangen, des Mangels an Leitungswasser in der Wohnung in der vierten Etage, es waren Lebensmittelmarken und Betriebsurlaub an der Ostsee.

All das spielte sich in einer Kulisse ab, in der es Straßen gab, alte Busse, die man „Gurke“ nannte, es gab Plattenbau und Schrebergärten, es gab einen permanenten Mangel, wenig Bücher und die Grenzen waren dicht. Die Grenzen bildeten das Ende unserer Welt, wir verreisten nicht, auch nicht in die Brüderländer des kommunistischen Polens. Über Grenzen haben wir uns nicht unterhalten, sie waren da und waren für uns selbstverständlich und unüberwindbar. Vielleicht war das der Grund, warum das Jenseits, die unbekannte Welt so stark meine Aufmerksamkeit heranzog.

Von klein auf begleitete mich der Wunsch eine größere, buntere und viel spannendere Welt, als die, in der ich aufwuchs, zu betreten. Je größer meine Neugier wurde, desto mehr wurde sie von den mangelnden Möglichkeiten gehemmt. Und wuchs immer und immer mehr. Ich lauschte mit spitzen Ohren, als bei Familientreffen von einer Reise nach Ostberlin die Rede war, bewunderte die Tante, die ausreiste, ohne sich damals dessen bewusst zu sein, was für eine Herausforderung und schwierige Erfahrungen das mit sich brachte. Ich fühlte mich in die kleine Stadt, in der ich geboren wurde, nicht zugehörig, die Welt war mir dort zu eng und zu klein und ich ahnte, dass anderswo viel spannenderes Leben auf mich warten würde.

“No więc Rimavska Sobota nie była niczym specjalnym, ale niedaleko szła granica i można się było przy niej pokręcić. A to uwielbiam. Nie bardzo zresztą wiem czemu. Ale uwielbiam podjeżdżać polnymi dróżkami do samej linii granicznej i patrzeć, jak nic się nie zmienia. Jak całe to gadanie o państwach, piędzi, rubieżach, sztandarach, to mamienie Tuwimowskie kolorowym godłem i historyczną racją, przegrywa ze zwykłym polem, łąką czy – ogólnie – najobojętniejszym na świecie krajobrazem.”

Ziemowit Szczerek

Wo gibt es denn uszka in Berlin?

Es hat ja uns alle erwischt. Lange Monate zu Hause, ohne Möglichkeit zu verreisen, Verwandte oder LebenspartnerInnen zu besuchen. Mit einem kurzen Intermezzo im Sommer, wo viele dachten, es ist vielleicht vorbei und alles wird, wie es früher mal war. Das dachten wir uns, obwohl wir wussten, dass es nicht so sein wird, aber man will ja leben, die Zeit genießen, niemand ist auf dauerhafte Belastungen und Einschränkungen dieser Art vorbereitet. Dann kam der Herbst und Winter, der bundesweite Lockdown, gefolgt von ähnlichen Maßnahmen in anderen Ländern. OK, also nicht nur Ostern, sondern auch Weihnachten ohne Familie in Polen. Das erste Mal seit zwölf Jahren, in denen ich in Berlin bin, und das erste Mal überhaupt.

Eigentlich tangiert es mich nicht besonders. Das Jahr war gesundheitlich sehr anstrengend, ich bin erleichtert keine umständliche Reise auf mich nehmen zu müssen. Nun aber: was mache ich dann? Wie verbringe ich Heilig Abend? Eine Freundin bietet frühzeitig an, dass wir den Tag gemeinsam verbringen. Das freut mich sehr, wir haben uns seit Juni nicht mehr gesehen. Es gibt also einen Plan, einen, der im Rahmen der Möglichkeiten umsetzbar ist und ich bin erleichtert, nicht allein zu Hause sitzen zu müssen.

Der Abend war aber in der Familie im wahrsten Sinne des Wortes heilig. Ohne in der Form und Üppigkeit zu übertreiben, hieß es immer automatisch, dass wir gemeinsam mit den Eltern feiern, früher auch mit Tante und Onkel, letztens jedes zweite Jahr ohne meinen Bruder, der zu seinen Schwiegereltern fuhr. Zwölf Gerichte und Bescherung im Anschluss. Obwohl mich seit Jahren an exakt an diesem Abend, so ab ca. 16 Uhr schlagartig eine depressive Stimmung überfallen hat, sodass ich beim feierlichen Abendessen regelmäßig zur Küche ging Fischfilets auf der Pfanne zu wenden, um nicht am Tisch loszuheulen, konnte ich mir nicht vorstellen, den Tag anders zu verbringen. Immerhin bestand die Hoffnung, dass ich unter dem Weihnachtsbaum Bücher finde, die ich mir gewünscht habe und mich für die weiteren Tage mit der Lektüre unter die Decke verkriechen kann. Die miese Stimmung war immer auch nach der Mitternacht abgeklungen, so eine Art Weihnachtszauber für Erwachsene.

Jedenfalls bewegte ich mich an diesen Tagen mein ganzes Leben lang in einem kulturellen Rahmen, der mir von der Kindheit auf aufoktroyiert wurde und sah keine Möglichkeit, mich daraus los zu bewegen. Es gab nie mein Weihnachten, es gab immer das Weihnachten, dass ich schon immer kannte und wusste mich da nicht wieder zu finden. Es funktionierte aber dermaßen automatisiert, dass die große Vorfreude im Dezember auf die Feiertage immer kam, und ich erst während mich schon wieder die Weihnachtsdepri erwischt hat, dachte: ah ja, schon wieder. Scheiße. Und bis nächstes Jahr habe ich es wieder vergessen, die Geschenke fleißig ausgesucht und nachhaltig verpackt und mich auf den Barschtsch gefreut. Erstaunlich.

Nun stand ich also da in meiner Berliner Wohnung und fragte mich, was Weihnachten und Heilig Abend für mich wirklich bedeutet. Was muss ich haben, was an dem Brauchtum und kulinarischen Raritäten für mich den Tag ausmacht und worauf ich locker verzichten kann. Ganz schnell hieß es ohne uszka und barszcz geht es gar nicht. Uszka sind winzige Teigtaschen mit Pilzfüllung, die man in so eine Form knetet, dass sie wie kleine Öhrchen aussehen, daher der Name. Sie werden nur einmal im Jahr gegessen und ich liebe sie. Sie werden in einer klaren rote Beete Suppe gegessen, die man mit einer sauren Basis kocht. Alle polnischen Läden, die ich erst recherchieren muss, weil ich sie nie besuche, sind weit weg, die Besorgung von fertigen Teigtaschen also umständlich. Die Suppe kriege ich so hin, aber ich entscheide mich, auch die uszkas selbst zu machen und es fühlt sich wie das größte Abenteuer des Jahres an. Natürlich geht es nicht ohne einen Online-Craskcourse meiner Mama in Sachen Teig und Füllung. Ich schneide eine unendliche Menge an Champignons klein und dünste sie in einer großen Pfanne, würze und bereite im Anschluss die Füllung nach Mamas Rezept zu. Jetzt kommt der Teig. Dinkelmehl, heißes Wasser, Öl und Salz. Ich vermische alle Zutaten mit den Händen zu einer breiigen Masse und gebe soviel Mehl hinzu, bis der weiche Teig etwas fester wird. Jetzt ausrollen. Ich lege einen Teil des Teigs auf den Holztisch, den anderen decke ich mit einem tiefen Teller zu, damit er nicht austrocknet. Ich gebe wieder Mehl hinzu, damit der nicht an der Tischoberfläche klebt. Rolle ihn aus und im selben Moment lande ich gedanklich in der Küche meiner Eltern, erinnere mich, wie mir meine Mama gezeigt hat, wie man den Teig ausrollt, wie dünn er sein muss, damit die Teigtaschen gut und lecker sind. Hebe den Teig, wende ihn um, um ihn noch dünner auszurollen und denke dabei, dass diese Bewegung, die ich in meiner Erinnerung hervorrufe, die ich von meiner Mama kenne, wahrscheinlich auch meine Großmutter, die ich nie kannte, ausgeführt hat. Ich steche mit einem Glas kleine Kreise aus, die ich mit den gebratenen Pilzen befüllen werde. Während ich knete und auch hier jede Bewegung und die Art und Weise, wie man die künftige Teigtasche in der Hand hält, von meiner Mutter kenne, denke ich an all die Gespräche, die wir während des Knetens geführt haben. An die Familiengeschichte, die sie mir unendliche Male erzählt hat, die ich immer für so selbstverständlich hielt und erst vor Kurzem selbst nacherlebt und angenommen habe. Mit all dem Schmerz und all den Herausforderungen, die das Leben mit sich brachte.

Ich knete über 50 uszkas fertig, koche sie kurz auf und lasse kalt werden, bevor ich sie ins Gefrierfach lege. Bin stolz auf mich, glücklich und fühle mich mit mir und meinen Verwandten und Vorfahren verbunden. Das ist ein schönes Gefühl. Weihnachten wird also trotz allem stattfinden. Und ich weiß endlich, was es für mich bedeutet. Die Freundin kommt, wir verbringen gemeinsam einen schönen Abend und sprechen unter anderem darüber, dass jedes Land wahrscheinlich seine Art von Teigtaschen hat, die es für einzigartig hält. Wir finden es teilweise lustig, aber auch schön. Der Barschtsch schmeckt, es gibt auch Bescherung, von der depressiven Stimmung an Weihnachten 2020 keine Spur.